Archiv 2005: Stuttgart „ich verlässt ich“
Die KUNST-RAUM-AKADEMIE Stuttgart zeigt
24. Januar bis 17. April 2005
„ich verlässt ich – Fotografien von Wilm Weppelmann“
Reihen und Konzepte: hier möchte ich sterben # ich verlässt ich # pavor nocturnus # im Hospiz # Stuttgart und die letzte Frage
Dokumentation: Sendung Radio 7 Stuttgart 25.3.2005
Bericht von Thomas Moritz Müller im „Kath. Sonntagsblatt“ Nr. 6. 6.2.2005:
Akademie stellt Wilm Weppelmanns Fotos von den letzten Dingen aus
Was ist, wenn·wir nicht mehr sind?
Ein Spiegel. Er zeigt die Konturen eines Badezimmerschranks, den Ausschnitt einer gekachelten Wand. Sonst leere. Nur noch efn Zettel mit der gedruckten Aufschrift: »Es war immer ein Gesicht da.• Der Münsteraner Künstler Wilm Weppehnann zeigt in manchen seiner in der Akademie der Diözese in Stuttgart- Hohenheim ausgestellten Fotos die Welt, wie sie ist, wenn wir nicht mehr sind.
Weppelmann bewegt sich mit seinen Arbeiten gerne an den Grenzen menschlicher Existenz. Er lotet die ganz alltägliche Distanz zum Sterben und zum Tod aus. In seiner Fotoserie »ich verlässt ich«, aus dem auch das Bild mit dem Spiegel stammt, variiert er die Darstellung von Schauplätzen nach dem Tod ihres regelmäßigen Benutzers: das bis auf einen Schreibtisch und einen Stuhl leer geräumte Büro (»acht stunden im nichts«), das verlassene Krankenbett (»wie nie da gewesen«), das namenlose Klingelschild am Hauseingang (»konnte nicht mehr zu mir kommen«).
Im Augenblick des Verschwindens
Den Fotos von Orten ordnet Weppelmann jeweils ein zweites zu: verwaschene Momentaufnahmen von Gesichtern und Köpfen, aufgenommen im Augenblick eines Verschwindens. Was bleibt von einem Menschen, wenn er geht?
Für eine andere Serie hat Weppelmann Leute gewonnen, sich an einem Ort fotografieren zu lassen, wo sie gerne sterben würden, wenn sie diesen Ort denn wählen könnten. Cornelia wählte einen »Kraftort«, wie sie selbst es bezeichnet, die Brücke über einen kleinen, gemächlich fließenden Bachlauf. Olaf ist auf der Terrasse seines Hauses mit Blick aufden Garten anzutreffen. Thomas hat einen Platz ausgesucht, halb unter freiem Himmel, >>der jedem sagt, bitte nicht stören, ich will allein sein«. Und Roger hat ein Hotelzimmer genommen: >>Es ist einfach so einOrt, wo ich mich absolut sicher fühle«.
Weppelmann fotografiert in Schwarzweiß. Das verleiht seinen Aufnahmen dokumentarischen Charakter, rückt sie in die Nähe von Archivalien. Wenn schon der Mensch verschwindet, so bleiben doch die Bilder, die sich einer von ihm gemacht hat. Strategie wider Vergessen und Vergänglichkeit? Es möchte einen schaudern, wenn man an den Moment denkt, an dem das Leben zu Ende ist. Gelegentlich nachts zwischen Wachsein und Träumen greift solch Frösteln nach der Seele: Als Ausgeburten solcher Erlebnisse erscheinen die Fotos der dritten Serie, >>pavor nocturnus«, >>Schrecken der Nacht« genannt.
Auf ihnen zeigt Weppelmann Signale jäher Todesangst, die klamm das Herz umschließt: die zwei schwarzen Silhouetten vor einem Feuer (»Vor unseren Augen verlöscht jede Glut«), die nackten, halb zerstörten Puppen (»das Kinderspiel hat sich letztendlich zur Selbstzerstörung erwachsen «), die Apothekerfläschchen mit dem Giftsymbol (>>der Tod ist kein Mittel zum Zweck<<), schließlich das schmiedeeiserne Eingangstor zum KZ Buchenwald mit der von den Nazis gewählten zynisch-aberwitzigen Inschrift »Jedem das Seine<<.
Tiefenschichten durch kurze Texte
Weppelmanns Stärke liegt darin, seinen Bildern Ernsthaftigkeit zu geben, ohne mit dem Zaunpfahl der Moral zu winken. Seine Fotos sind pforten, hinter denen sich Wege zu einer kreativen Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des eigenen Sterbens öffnen. Mitunter fügen kurze Texte assoziativen Charakters den Fotos eine zweite Schicht hinzu, andere Bilder gewinnen zusätzliche Tiefe durch Selbstaussagen Betroffener (die dem Katalog zu entnehmen sind).
Wenige Tage vor der Eröffnung der Ausstellung startete der Künstler eine Befragung unter Passanten in der Stuttgarter Innenstadt. Er bat sie, sich vorzustellen, sie würden in den nächsten Minuten sterben: >>Stellen Sie Ihre letzte Frage!<< 120 Antworten kamen zusammen. Günter, 65, wollte wissen: >>War das wirklich altes?«, Denise, 24, machte sich Gedanken über die Farbgebung im jenseits: >>Bleibt der Himmel blau?«, und Ute, 37, nimmt ihre Sehnsüchte mit nach drüben: >>freffe ich meine Oma wieder?«. Alle Fragen sind, gedruckt auf einer großen Stoffbahn, im Saal der Akademie zu finden.
Die jeweils dazu passenden Antworten sind nicht zu finden. Nicht dort.
Thomas Moritz Müller im „Kath. Sonntagsblatt“ Nr. 6. 6.2.2005