Archiv 2003: „Die Fotografien von Wilm Weppelmann“ Prof. Dr. Dr. Sternberg
„ich verlässt ich – Bilder vom Leben und Sterben“
50 Schwarz-Weiß-Fotografien von Wilm Weppelmann
in der Akademie Franz Hitze Haus Münster vom 8.1.2003 – 28.2.2003
Dokumentation: Ausstellungskatalog „ich verlässt ich – Bilder vom Leben und Sterben“ mit Begleittexten von Prof. Dr. Dr. Sternberg und Prof. Dr. Reiner Sörries – Verlag Akademie Franz Hitze Haus 2003 ISBN 3-930322-45-5
ich verlässt ich – Bilder vom Leben und Sterben
Die Fotografien von Wilm Weppelmann
Prof. Dr. Dr. Sternberg / Münster
„Meine Fotografien entspringen immer einem inneren Bedürfnis. Ich mache keine Bilder … ich habe eine Vorstellung vom Leben und versuche, dafür ein Äquivalent in Form von Fotografien zu finden.“ (Alfred Stieglitz 1864-1946)
Was einer der Pioniere der Fotografie hier über das Verhältnis von innerer Vorstellung und bildnerischem Ausdruck sagt, das läßt sich auf die neuen Zyklen Wilm Weppelmanns anwenden. Es geht um Vorstellungen vom Sterben – nicht allein des Künstlers, sondern aufgesucht in der nur scheinbar schlichten Frage der ersten der drei Bildfolgen. In drei Reihen wird das Thema Sterben umkreist:
„tangent one – hier möchte ich sterben“ zeigt Menschen, die per Anzeige und Flugblatt gesucht worden waren. Sie wurden gebeten, den Ort zu benennen – und sich dort fotografieren zu lassen – an dem sie einmal sterben möchten. Die Bilder inszenieren die Personen an diesen Orten in dem Realismus ihrer Schönheit, Banalität oder untergründigen Surrealität. Vom malerischen Wald reichen die Szenerien über die repräsentativen, banalen oder privaten Räume Räume bis zum Friedhof; Behaustheit und Fremde werden zum Thema. Die Dargestellten posieren zum Porträt oder imaginieren sich selbst als Sterbende oder Gestorbene. Die Bilder sind das Ergebnis von langen Gesprächen und Erörterungen über den zumeist verdrängten oder unangenehmen Endpunkt des Lebens. Weppelmann geht auf die Wünsche und die Individualitäten ein, ordnet seine Gestaltungsabsicht dem „realistischen“ Blick der Schwarz-Weiß-Fotographie unter, schönt und verfremdet nicht. Die Arbeiten bekommen dadurch etwas von der Unbestechlichkeit der frühen Dokumentar- und Personenfotografie etwa eines August Sander. Verfremdend wirken Frage und Anlaß, die eine nicht reale Situation zu antizipieren versuchen. Wie verhalten sich Identität und Selbstbild zu dem, was man sich als Ort des Endes wünscht? – auch wenn es wohl ganz anders kommen wird; der Tod in der Krankenstation, am Unfallort oder vielleicht auch im Hospiz sind viel wahrscheinlicher. Keiner ist so naiv, zu glauben, der Ort, an dem man sterben möchte werde auch der sein, an dem man sterben wird. Die Orte werden zu Verortungen des eigenen Lebens – der Aufgenommenen, des Fotografen und schließlich auch der Betrachter in der Ausstellung.
„tangent two – ich verlässt ich“ stellt nicht nur im Ablauf eine zweite Station dar. Es ist die nächste Ebene einer Reflexion über das, was mit dem Lebensende zusammenhängt. Die Stimmmung von Haushaltsauflösungen liegt über den Bildern. Was ist es, was zurückgelassen wird? Was wird fehlen, wenn „ich“ nicht mehr da bin? Was ist dieses „Ich“? Was ist es, das meine Individualität ausmacht? Was bleibt, von dem, was mir wichtig ist – und von mir selbst? Auch: was wird als so belastend empfunden, daß es in den Tod treibt? – Fotographisch werden hier Tableaus gebildet, in denen zwei völlig verschiedene Verfahren kombiniert werden: links stehen Dokumentationen leerer Räume und Text-Bild- Kombinationen, die ein Spezifikum der künstlerischen Arbeit Weppelmanns ausmachen. Knappe Texte konzentrieren das Gemeinte auf Begriffe, die mit einem assoziativen Detail im Foto verbunden sind. Die Texte sind in deutlich lesbarer Schrift auf Zettel ausgedruckt und werden mit dem Motiv zusammen fotografiert. Frühere Reihen zeigten solche Texte in den Händen dargestellter Personen. „konnte nicht mehr zu mir kommen“ läßt ein banales Klingelbrett an einer Hauswand sehen; die Klage „es war immer ein Gesicht da“ zeigt den nun leeren Spiegel. Symbol und Text verschmelzen im Bild wie der Titulus im barocken Emblem und Sinnbild. Leere Räume und alltägliche Orte bekommen eine gespenstische Leere durch das Thema der Reihe und die Ergänzung durch die Bilder auf der rechten Seite: Sie zeigen Porträts, verwischt, aufgehellt, verfremdet bis an die Grenze der Lesbarkeit. Vergehen und Verlöschen wird in diesen Arbeiten neben dem sachlichen Blick auf die Dinge und Orte zu einem Menetekel der Vergänglichkeit. Die Auflösung wird geradezu als dynamischer Prozeß erfahrbar durch die fotografische Technik und Gestaltung. Die Auflösung ins Helle, ins Licht korrespondiert mit dem Licht, das im Bild VII „acht Stunden im Nichts“ durch das hohe Fenster auf den leeren Schreibtisch fällt. Was wird bleiben, was bleibt erkennbar, wenn die letzte Zeile im Stammbuch gefüllt ist?
„tangent three – pavor nocturnus“ präsentiert Imaginationen und Texte über die „nächtliche Angst“. Diese Reihe geht an die Grenzen des im Medium der Fotografie Sagbaren. Wie die Realisationen nächtlicher Obsessionen wirken die schwarz-weißen Fotografien. Es sind Rätselbilder, die den räumlichen Kontext, das Motiv, den Zusammenhang nicht immer erkennen lassen, obwohl dies nicht in der Technik der Verfremdung, sondern nur über das Motiv geschieht. Diese Bilder berühren nicht allein die thematisch gegebenen Grenzen, sondern auch der psychischen Konstitution, der Mitteilung im Bild. Traumsequenzen, Objekte und Sinnbilder der Angst vereinen sich zu einem Totentanz der Furcht vor dem Sterben. Wie weit können solche Motive rezipierbar gemacht werden? Wie ist die Übertragung auf die Betrachter möglich? Der Weg geht über das allgemeinverständliche Symbol, wie im Bild vom „Rand“, an dem man steht. Der beigefügte Text ist diesem Fall mehr als ein Titel oder Kommentar. Die Texte werden zu einem ganz eigenständigen Ausdrucksmedium neben dem Bild. Es handelt sich gewissermaßen um Lyrik-Fotografie-Kombinationen. Das tertium komparationis von Bild und Text ist oft nur ein Begriff, ein Wort, ein Gedanke. Nur einmal bleibt jedes Wort im Halse stecken und tiefes Schwarz verweigert jeden Kommentar: Das mit Arabesken gestaltete schmiedeeiserne Tor zum Vernichtungslager Buchenwald mit seiner ungeheuren Aufnahme eines Cicero-Satzes verschlägt jede Sprache – und gibt gleichwohl ein Schlaglicht auf ein kollektives Trauma, das seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit dem Wort „Tod“ verbunden bleiben wird.
Ist Wilm Weppelmann ein Fotograf? – Er ist ein nachdenklicher Beobachter, der existentielle Fragen stellt und sie in anderen als im Medium des zusammenhängenden Textes zu beantworten versucht, auch insofern hat er es mit Kunst zu tun. Der Diskurs wird geführt über Bild, Text, Titel, Sinnspruch, Frage und zusammengehalten im Medium der Fotografie. Wenn die Frage nach dem Sterben so existentiell gestellt und darstellt wird, dann wird etwas preisgegeben, dann „geht das unter die Haut“ – aber nicht nur bei den beteiligten Akteuren und dem Autor, sondern sondern auch bei den Betrachtern einer solchen Ausstellung. Letzte Fragen zu stellen, ist in einer medial bestimmten und durchökonomisierten Welt scheinbar unpassend – und doch ist es die überlebensnotwendige Aufgabe der Kunst wie auch der Religion, sich dem Verdrängen der wirklich wichtigen und existentiellen Themen zu widersetzen. Sie zu stellen heißt, sich auf einen Weg zu machen, der über mich selbst Auskunft verlangt und über meine Auseinandersetzung mit den Antwortversuchen, die in der Tradition der Geschichte und des Glaubens hierzu gegeben wurden.
„das Leben steuert unbeirrt zum Ziel“ ist der Titeltext des zehnten Bildes der dritten Reihe: was ist dieses Ziel? Ist es das Sterben selbst? Wird dann noch etwas sein – und was wird das sein? Diejenigen, die ihr Ziel schon erreicht haben, können uns keine Auskunft mehr darüber geben, wohl aber aus ihrer Lebenszeit über den Grund ihrer Hoffnung.
Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, Münster 2003